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15.02.2021 MUTEC

Notfallverbünde – Kulturgutschutz in Deutschland / Aktuelle Fragen und Entwicklungen

Am 5. November 2020 hätte im Rahmen des MUTEC Forums auf der Leipziger Messe „MUTEC – Internationale Fachmesse für Museums- und Ausstellungstechnik“ eine Podiumsdiskussion zum Thema „Sicherheit – Hilfe im Verbund“ stattfinden sollen. Aufgrund der verschärften Corona-Richtlinien musste die MUTEC kurzfristig abgesagt werden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion haben sich daher entschlossen, die geplanten Inhalte des Gesprächs in einem Papier zusammenzustellen und zu veröffentlichen.

Im Folgenden finden Sie nach einer kurzen allgemeinen Einführung zu Notfallverbünden Informationen zu den Themenbereichen Organisation, Kooperation, Qualifizierung und Fortbildung. Die Beispiele der Notfallverbünde in Leipzig und Halle (Saale) sowie vom Kulturrat Thüringen bieten zahlreiche Anregungen für andere Notfallverbünde bzw. Institutionen, die sich für die Gründung eines Notfallverbunds interessieren. (Alke Dohrmann, SiLK)

Einführung

In einem Notfallverbund kooperieren Sammlungseinrichtungen in einer Stadt oder Region, um sich gegenseitig in akuten Notfallsituationen, die Objekte bedrohen oder bereits schädigen, zu helfen. Darüber hinaus werden präventiv Vorbereitungen getroffen, z. B. die Ausarbeitung von Notfallplänen oder die Durchführung von gemeinsamen Übungen. Es schließen sich entweder nur Archive und Bibliotheken bzw. Museen zu einem Notfallverbund zusammen oder verschiedene Arten von Sammlungseinrichtungen in einem gemischten Verbund. Es finden regelmäßige Treffen statt und der enge Kontakt zu externen Stellen, vor allem zur Feuerwehr, wird gepflegt. Der Austausch mit anderen Notfallverbünden befördert die Professionalisierung. (Alke Dohrmann, SiLK)

Gründung eines Notfallverbunds – Beispiel Leipzig

Die Gründungsphase des Leipziger Notfallverbunds erstreckte sich über drei Jahre von 2009 bis 2012. Seinen ersten Impuls erhielt der Verbund dieser an kulturellen Einrichtungen reichen Stadt durch ein Schreiben der Universitätsbibliothek Leipzig an insgesamt ca. 60 Leipziger Adressen von Bibliotheken und Archiven. Dafür ließ sich auf eine Zusammenstellung zurückgreifen, die an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur im Studiengang Bibliotheks- und Informationswissenschaften erstellt worden war. Auf dieses Treffen hin bekundeten knapp 20 Einrichtungen ihr Interesse an einer Mitarbeit.

Die ersten allgemeinen Treffen dienten in erster Linie der Fortbildung zu Fragen der Notfallvorsorge. Ein erster Kontakt zur Berufsfeuerwehr der Stadt Leipzig wurde geknüpft. Eine kleine Arbeitsgruppe setzte den Text einer Notfallvereinbarung auf, für den als Vorbild das Magdeburger Modell diente. Die justiziarische Prüfung dieser Vereinbarung, insbesondere des Paragrafen zu „Finanzierung 2 und Haftung“, nahm in den verschiedenen Einrichtungen viel Zeit und Geduld in Anspruch. In manchen Fällen vergingen fast zwei Jahre. Erst das grüne Licht von allen bot die Voraussetzung für die eigentliche Gründung. Sie erfolgte am 21. Mai 2012. Leiterinnen und Leiter von 20 Leipziger Archiven, Bibliotheken und Museen unterzeichneten die Notfallvereinbarung und signalisierten damit auch institutionell ihre Bereitschaft, im Notfall zusammenzuarbeiten.

Die Mitglieder des Leipziger Notfallverbunds sind in erster Linie Archive und Bibliotheken, nur das Stadtgeschichtliche Museum in der Trägerschaft der Stadt Leipzig ist von Anfang an mit dabei. Nach § 5, Abs. 3 der Notfallvereinbarung ist der Beitritt weiterer Institutionen einfach geregelt: „Weitere Archive oder Bibliotheken können dem Notfallverbund beitreten. Das geschieht durch entsprechende Erklärung gegenüber dem Vorsitzenden des Arbeitstreffens sowie durch Unterzeichnung dieser Vereinbarung. Der Vorsitzende setzt die beteiligten Institutionen des Notfallverbundes darüber in Kenntnis.“ Der Notfallverbund ist für die Mitarbeit von Museen offen. Wer aus der weit gefächerten Museumslandschaft Leipzigs mitarbeiten möchte, ist im Notfallverbund herzlich willkommen. Mit den drei Museen, die unter dem Namen Grassimuseum subsummieren, gibt es Vorgespräche. In der Zusammenarbeit ist zu berücksichtigen, dass sich Bibliothekare und Archivare in der Regel beim Bergen von Büchern und Akten sicherer und kompetenter fühlen als beim Bergen von beispielsweise barocken Geigen oder historischen Textilien aus einem gefluteten Magazin. (Almuth Märker, Leipzig)

Impulsreferate für gründungswillige Notfallverbünde

Nach den tragischen Notfallereignissen in der Bibliotheks- und Archivwelt 2004 (Weimar) bzw. 2009 (Köln) gab es vermehrt Bestrebungen, Notfallverbünde zu gründen. Doch wie beginnen? Was beachten? Wovon Abstand nehmen? Das waren und sind häufig zu Beginn einer Gründungsphase aufkommende Fragen. Hier hat es sich bewährt, einen bestehenden Notfallverbund um ein Impulsreferat zu bitten. So wie der Leipziger Verbund in der Gründungsphase wichtige Impulse durch Kollegen aus Weimar (Stadtbibliothek und Staatsarchiv) erhielt, konnte er nach der Gründung 2012 seine Erfahrungen an andere Gründungswillige weitergeben (2012 Regensburg, 2014 Freiberg in Sachsen, 2014 Schleswig). (Almuth Märker, Leipzig)

Organisation eines Notfallverbunds

Alle Mitglieder des Verbunds Halle (Saale) treffen sich mindestens ein- bis zweimal pro Jahr im Rahmen einer Mitgliederversammlung. Darüber hinaus treffen sich die drei Mitglieder des Steuergremiums ca. vier- bis sechsmal pro Jahr. Neben Mitgliederversammlung und Steuergremium existieren weitere Projektgruppen, aktuell beispielsweise zur Vorbereitung der Übung 2021, eine Gruppe, die sich mit der Evaluierung und Ergänzung der Notfallausrüstung, und eine weitere Gruppe, die sich mit Weiterbildungsfragen beschäftigt. Der hallesche Notfallverbund hat seit seiner Gründung eine Vielzahl von gemeinsamen Aktivitäten entwickelt. Diese reichen von gemeinsamen, jährlich aktualisierten Gefahrenabwehrplänen bis zu einem gemeinsam genutzten Intranet. Es konnte Notfallausrüstung beschafft werden, die in einer Liegenschaft der Berufsfeuerwehr Halle untergestellt und bei technischen Wartungsfragen auch von der Berufsfeuerwehr mitbetreut wird. Die Notfallausrüstung ist für alle Mitglieder zugänglich, bei Großschadenslagen erfolgt eine Priorisierung. Als ständiger Partner steht dem Verbund eine Freiwillige Feuerwehr aus Halle zur Seite. (Danny Weber, Halle/Saale)

Jahrestreffen

Im Regelfall einmal jährlich trifft sich der Notfallverbund Leipziger Archive und Bibliotheken in den einzelnen Objekten des Verbunds. Dabei wird die jeweilige Kultureinrichtung vorgestellt und ihre Spezifik aufgezeigt. Im Leipziger Notfallverbund sind sehr unterschiedliche Einrichtungen organisiert; sehr große Objekte wie die Deutsche Nationalbibliothek, aber auch sehr kleine wie das Archiv der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft. Die Beteiligten haben daher eine differenzierte Sicht auf die Aufgaben des Notfallverbunds. Bei den Arbeitstreffen werden anstehende Aufgaben diskutiert und ggf. Maßnahmen wie 2020 die Beschaffung von Notfallboxen beschlossen. Ferner dienen diese Treffen auch der Weiterbildung zu Themen der Sicherung, Verwahrung und Erhaltung von Kulturgut. So wurde z. B. 2019 das Thema Insektenmonitoring in Archiven und Bibliotheken besprochen. (Hans-Jürgen Voigt, Leipzig)

BeraterIn Kulturgutschutz

Eine hallesche Besonderheit ist der/die sogenannte FachberaterIn Kulturgutschutz. Diese seit Anfang 2000 nicht mehr besetzt gewesene Stelle wurde aufgrund der Erfahrungen des Saale-Hochwassers 2013, als vor allem mangelnde Kommunikation zwischen dem kommunalen Katastrophenstab und den Kultureinrichtungen eine bessere Unterstützung der Archive, Bibliotheken und Museen verhinderte, wieder aktiviert. 2014 wurde die Vorsitzende des halleschen Notfallverbunds in den kommunalen Katastrophenstab als Ansprechpartnerin für den Stab und die Kultureinrichtungen berufen und kann somit den vertretenen Einrichtungen besonders im Katastrophenfall eine Stimme geben.

Kontakt zur Feuerwehr

Bereits kurz nach Gründung des Leipziger Notfallverbunds war allen Beteiligten klar, dass die Leipziger Feuerwehr in die Tätigkeit des Notfallverbunds einbezogen werden sollte. Als Erstes sollte ein Informationsaustausch erfolgen, um die Ideen und Wünsche der jeweils anderen Seite kennenzulernen und um später gemeinsame Aktivitäten durchführen zu können. In den ersten Jahren des Bestehens des Leipziger Notfallverbunds gestaltete sich die Zusammenarbeit schwierig, erst mit dem Wechsel der Führungsspitze der Feuerwehr um 2015 konnte eine Intensivierung der Kontakte erfolgen. Vertreter der Berufsfeuerwehr nehmen seither regelmäßig an den Arbeitstreffen des Notfallverbunds teil. Vor zwei Jahren konnte mithilfe der Feuerwehr eine Übung organisiert werden, die schwerpunktmäßig die Bergung von verschüttetem Archivgut zum Inhalt hatte. Mitglieder des Notfallverbunds unterwiesen Löschzüge der Leipziger Feuerwehr im Umgang mit Kulturgut.

Die Branddirektion berät den Notfallverbund in Fragen der Gefahrenvorbeugung und der Vorbereitung einsatzunterstützender Maßnahmen. Ferner führt die Branddirektion regelmäßig Begehungen in den zum Notfallverbund gehörenden Objekten durch. Mindestens einmal jährlich soll der Notfallverbund an Einsatzleiterschulungen der Branddirektion teilnehmen und über relevante Themen berichten. Dazu wurde 2017 eine entsprechende Kooperationsvereinbarung geschlossen. (Hans-Jürgen Voigt, Leipzig)

Kontakt zu Kühlhäusern

Der Leipziger Notfallverbund aktualisiert regelmäßig seine Liste an Kühlhäusern, die ggf. zur interimistischen Lagerung von nässegeschädigtem Schriftgut infrage kommen. Ferner bestehen regelmäßige Kontakte zu Leipziger Firmen, die sich mit der Sicherung und Restaurierung von beschädigtem Schriftgut beschäftigen. (Hans-Jürgen Voigt, Leipzig)

Überregionale Kontakte zwischen Notfallverbünden

Im Zuge der Etablierung und Erweiterung des Leipziger Notfallverbunds wurden auch Kontakte zu den Notfallverbünden in Dresden und Halle/Saale geknüpft. So nahmen z. B. vor einigen Jahren Vertreter des Leipziger Notfallverbunds als Beobachter an einer Übung des Dresdner Notfallverbunds im Sächsischen Hauptstaatsarchiv teil. Regelmäßige Kontakte bestehen auch zum Notfallverbund in Halle/Saale. Hier lässt allein auch die räumliche Nähe eine Zusammenarbeit sinnvoll erscheinen. So wurde vereinbart, dass an den jeweiligen jährlichen Arbeitstreffen der Notfallverbünde auch mindestens ein Vertreter des anderen Notfallverbunds teilnimmt. Die Vorstellung des Notfalllagers in Halle sollte dem Leipziger Notfallverbund eine Anregung sein, ggf. gemeinsam mit der Feuerwehr Leipzig ein ähnliches Lager einzurichten. (Hans-Jürgen Voigt, Leipzig)

Beschaffung von Notfallboxen

Im Rahmen der jährlichen Arbeitstreffen des Leipziger Notfallverbunds wurde von einigen Einrichtungen der Wunsch geäußert, die Ausstattung mit Schutzmaterialien bei möglichen Notfällen zu verbessern. Es wurde deshalb 2019 eine entsprechende Abfrage bei den einzelnen Einrichtungen gestartet. Daraus ergab sich ein erster Bedarf von neun Notfallboxen. Da die Beschaffung einer Box mit ca. 1.000 Euro recht kostenintensiv ist, wurde ein Antrag auf Zuwendung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und der Kulturstiftung der Länder (KSL) für die KEK-Modellprojektförderung 2020 gestellt. Die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) vergibt jährlich Fördergelder für entsprechende Maßnahmen. Die Durchführung der Fördermaßnahme für die Notfallboxen erfolgte über die Verwaltung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig. Im August 2020 wurde der Zuwendungsbescheid erteilt und im September 2020 erfolgte die Beschaffung der Notfallboxen, die im Anschluss an die jeweiligen Einrichtungen verteilt werden konnten. (Hans-Jürgen Voigt, Leipzig)

Statement Danny Weber (Halle/Saale) zur mangelnden Unterstützung für Material und Aus- bzw. Weiterbildung und die problematische rechtliche Situation der Verbünde allgemein: „Schaut man auf die Situation der Notfallverbünde allgemein, dann gilt es, nach meiner Überzeugung, dringend, die vielerorts vollkommen unzureichende oder nicht vorhandene Unterstützung für die Vorhaltung von Notfallausrüstung und die Durchführung von Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen herzustellen. Hierbei sehe ich vor allem die Länder in der Pflicht. Darüber hinaus sehe ich die rechtliche Situation der Notfallverbünde nach wie vor als ein Entwicklungshemmnis und ich glaube, dass es noch mehr direkter Zusammenarbeit (z. B. durch Fachberater) zwischen Kultureinrichtungen einerseits und den unterschiedlichen Partnern im Bereich Katastrophenschutz geben muss. Auch im Bereich der „Berufsausbildung“ sehe ich auf beiden Seiten (Archivare, Bibliothekare, Museologen – Feuerwehr) noch Bedarf und Potenzial.“

Statement Ralf Seeber (Thüringen) zur Frage, ob die Notfallverbünde eine einheitliche materielle Basis – ähnlich wie im Katastrophenschutz – benötigen: „Aus meiner Perspektive als ehemaliger Berufsfeuerwehrmann kann ich für den Katastrophenschutz beschreiben, dass wir in allen Bundesländern einheitlich mit Fahrzeugen, Gerätschaften und ausgebildetem (oft ehrenamtlichem) Personal ausgerüstet sind, um auf jede Art von Schaden reagieren zu können. Der Bund ist für das Technische Hilfswerk (THW) zuständig. Ob Strahlenschutzeinsatz oder Massenanfall von Verletzen, auf Katastrophen wird in Deutschland nach einheitlichen Konzepten mit fast identischen Fahrzeugen und Geräten reagiert. Meiner Ansicht nach sollen und dürfen sich die Notfallverbünde in ihrer Arbeit nicht verändern. Sie müssen eine Solidargemeinschaft auf freiwilliger Basis bleiben. Wenn aber in jedem Bundesland „einheitliche“ Ausrüstungssätze Kulturgutschutz und eine überschaubare Anzahl Gerätewagen Kulturgutschutz vorgehalten würden, könnte man größere Schadenslagen im Kulturbereich effektiver bewältigen. Dies in allen Bundesländern zu ermöglichen, sollte überlegt werden.“

Notfallvorsorge innerhalb einer Einrichtung

Sich regional oder überregional in einem Notfallverbund zusammenzuschließen und zu vernetzen ist das eine. Die Notfallvorsorge und den Notfall auch zum Thema im eigenen Haus zu machen, das andere. So groß das Engagement der Beteiligten im Notfallverbund ist, so sehr muss vor Ort zunächst für das Thema sensibilisiert und Überzeugungsarbeit geleistet werden. Ein wichtiger Schritt ist dann die Gründung eines Notfallteams, zu dem selbstverständlich die Leitungsebene der Einrichtung, aber sinnvollerweise auch Mitarbeiter des technischen Dienstes, der Verwaltung sowie Kollegen aus dem Bereich Bestandserhaltung und Restaurierung gehören. – Kolleginnen und Kollegen aus OPL (One Person Libraries/One Person Archives/One Person Museums) werden vermutlich von einer solchen Notfalltruppe nur träumen können. Sie müssen immer und alles allein entscheiden und managen. Doch gerade für diese Situation bietet ein Notfallverbund durch seine Vernetzung eine ungeheure Chance. – Die routinemäßig möglichst einmal im Jahr stattfindenden Sitzungen des Notfallteams bieten eine gute Gelegenheit, den Notfallplan kritisch zu lesen, zu überarbeiten und zu aktualisieren. Zur besonderen Nachahmung empfohlen wird die Praxis, den Besprechungsraum regelmäßig zu verlassen und gemeinsam Begehungen vor Ort zu machen: Wo stehen die Notfallboxen? Wer hat den Schlüssel für die Gitterbox mit den Sandsäcken? (Ergebnis in diesem Fall: Die Gitterbox bleibt besser unverschlossen!) Ist unsere Notfalltelefonliste aktuell? etc. (Almuth Märker, Leipzig)

Integrated Pest Management (IPM)

In den vergangenen Jahren hat in Archiven, Bibliotheken und Museen, mutmaßlich befeuert durch Klimawandel und Globalisierung, ein Thema stetig an Bedeutung zugenommen, über das noch vor drei Jahrzehnten kaum gesprochen wurde: Insektenbefall und die damit einhergehende (potenzielle) Schädigung von Beständen aus organischen Materialien, z. B. aus Papier, Leder, Pergament, Stoff oder Holz. Angesichts dieser neuen Herausforderung hat es sich bewährt, die Magazine, aber auch Arbeits- und Pausenräume einem mittelfristigen Insektenmonitoring zu unterziehen. Dieses sogenannte IPM (Integrated Pest Management) ermöglicht mithilfe aufgestellter Pheromonfallen, statistische Werte über die Häufigkeit des Vorkommens von Insekten zu ermitteln. (Almuth Märker, Leipzig)

Übungen

Im halleschen Notfallverbund werden regelmäßig Übungen und Workshops zu unterschiedlichen Themen durchgeführt. Dazu gehören Kommunikation, Alarmierung, Bergung/Verpackung und das sogenannte operativ-taktische Studium (OTS) gemeinsam mit der Berufsfeuerwehr Halle. Zu Übungen und Workshops werden auch externe Gäste und Referenten eingeladen. So wurden beispielsweise in den Jahren 2018 und 2019 zwei Workshops zur Erstversorgung von Kulturgütern im Katastrophenfall durchgeführt, an denen Referenten und Gäste aus Deutschland und Österreich teilgenommen haben. (Danny Weber, Halle/Saale)

Einheitliche Fortbildung zum Thema Kulturgutschutz/Schnittmenge von Feuerwehr und Kultureinrichtungen im Schadensfall

Im normalen Leben gibt es kaum Berührungspunkte, außer dass Feuerwehrleute auch ins Museum gehen und Mitarbeiter aus kulturellen Einrichtungen gelegentlich ein Feuerwehrfahrzeug mit Blaulicht vorbeifahren sehen. Aber spätestens in einem Schadensfall müssen diese zwei Organisationsstrukturen professionell zusammenarbeiten, um die Situation beherrschbar zu machen. Deshalb müssen über die schon vorhandenen Vorbereitungen auf einen Schadensfall, wie den Feuerwehrplan nach DIN, die jährliche Brandschutzunterweisung der Mitarbeiter usw., mehr getan werden. Die Zusammenarbeit der Kultureinrichtungen mit der Feuerwehr muss geübt werden. Notfallverbünde sind hier ein guter Ansatz. Zu erkennen, was für eine Kultureinrichtung wichtig ist, erschließt sich für die Feuerwehr nicht zwingend. Ebenso müssen Kultureinrichtungen erfahren, was die Feuerwehr im Kulturgutschutz leisten kann. Es ist zu klären, was beide Seiten voneinander erwarten. Dieser Ansatz muss in den Bundesländern und in der gesamten Bundesrepublik schon in der Ausbildung der zukünftigen Führungskräfte der Feuerwehr und der Kultureinrichtungen eine kleine, aber wichtige Rolle spielen, im besten Fall nach einheitlich abgestimmten Fortbildungskonzepten. Beginnend im Studium als Restaurator, Museologe etc. oder der Ausbildung zum gehobenen feuerwehrtechnischen Dienst kann man den Grundstein dafür legen. Die Zusammenarbeit in Notfallverbünden und modulare Fortbildungen, wie in Thüringen angeboten, ermöglichen es, dieses Thema immer wieder zu behandeln. Die Notfallvorsorge in Kultureinrichtungen darf nicht alle anderen Themen überlagern, aber die Schadensereignisse zeigen, dass eine Vorbereitung notwendig ist. Die Feuerwehren müssen für die Belange des Kulturgutschutzes sensibilisiert werden. Hier würden sich, bislang fehlende, Lehrgänge zum Kulturgutschutz an den Feuerwehrschulen der Bundesländer anbieten. (Ralf Seeber, Thüringen)

Der Thüringer Weg

Die Ereignisse in den letzten Jahren haben den Verantwortlichen in Thüringen gezeigt, wie unerlässlich die Vorbereitung auf den Notfall, die Bildung lokaler Notfallverbünde und deren thüringenweite Vernetzung sind. Im Jahr 2017 ergab sich deshalb die Gelegenheit, die Notfallvorsorge für Kultureinrichtungen auf neue Weise anzugehen. Mit Unterstützung der Staatskanzlei und des Ministeriums für Inneres und Kommunales wurde unter Federführung des Kulturrates Thüringen ein ganzheitliches Konzept für den Schutz der Thüringer Kultur ins Leben gerufen. Ziel ist es, jeder Kultureinrichtung, ob Archiv, Museum oder Bibliothek, Unterstützung zur Notfallvorsorge anzubieten. Jede Kultureinrichtung entscheidet für sich, inwieweit sie das Angebot annimmt und ob es zur Gründung eines Notfallverbunds kommt.

Der Thüringer Weg wird durch drei Säulen getragen:

- Fortbildungsangebot auf Basis eines fünfteiligen, theoretisch und praktisch ausgelegten Modulsystems durch den Fachberater Notfallverbünde des Kulturrats Thüringen

- 2019 – Inbetriebnahme von fünf Notfallsätzen, bestehend aus zehn Rollgitterwagen, an fünf Standorten in Thüringen und ein Gerätewagen Kulturgutschutz, finanziert durch den Freistaat Thüringen

- Kompetenzzentrum für Feuerwehren zum Kulturgutschutz bei der Feuerwehr Weimar

Der Kulturrat Thüringen ist bestrebt, lokale Notfallverbünde zu initiieren, um den oftmals kleinen Einrichtungen gegenseitige Unterstützung zu ermöglichen. Sie bestehen in der Regel aus Museen, Bibliotheken und Archiven einer Region. Zehn solcher Verbünde konnten in Thüringen gegründet werden bzw. wurden bei der weiteren Entwicklung unterstützt. Insgesamt werden 16 Notfallverbünde angestrebt. (Ralf Seeber, Thüringen)

Beteiligte

Dr. Alke Dohrmann, SiLK – SicherheitsLeitfaden Kulturgut

Studium der Ethnologie, Politologie und Kulturgeographie an der Universität Mainz; Promotion an der Georg-August-Universität Göttingen; 1997–1999 wissenschaftliches Volontariat am Niedersächsischen Landesmuseum Hannover/Völkerkunde; seit 2004 freiberufliche Tätigkeit; 2008–2009 Ethnologin an den Lübecker Museen/Völkerkundesammlung; seit 2006 im Projekt „Sicherheit und Katastrophenschutz für Museen, Archive und Bibliotheken“ der Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen tätig, seit 2008 als Projektleiterin des SiLK – SicherheitsLeitfadens Kulturgut, seit 2020 Koordination der Notfallverbünde in Deutschland

Dr. Almuth Märker, Universitätsbibliothek Leipzig

Studium der Klassischen Philologie; Promotion in Mittellatein; Referendariat für den höheren Bibliotheksdienst; seit 2004 wissenschaftliche Bibliothekarin an der Universitätsbibliothek Leipzig: 2004–2017 am Handschriftenzentrum Leipzig, seit 2017 Kustodin der Papyrus- und Ostrakasammlung, seit 2006 im Referat Bestandserhaltung, zahlreiche Projekte mit der Landesstelle für Bestandserhaltung an der Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden und mit der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts; 2009–2012 Gründungsmitglied des Notfallverbunds Leipziger Archive und Bibliotheken, 2012–2015 Vorsitzende

Ralf Seeber, Fachberater Notfallverbünde/Kulturrat Thüringen e.V.

Berufsfeuerwehrmann im Ruhestand, 28 Jahre Wachabteilungsführer/Einsatzleiter; seit 2019 in der Klassik Stiftung Weimar im Brandschutz tätig; Referent in der Fortbildung für Kultureinrichtungen Thüringens und überregional zu Fragen der Notfallvorsorge im Rahmen eines geförderten Projekts der Thüringer Staatskanzlei; Aufbau und Durchführung theoretischer und praktischer Fortbildung in der Notfallvorsorge in Kultureinrichtungen; Planung und Umsetzung/Betreuung von materiellen Grundlagen zur Notfallvorsorge (Ausrüstungssätze Kulturgutschutz und LKW-Gerätewagen Kulturgutschutz); Mitglied in verschiedenen Facharbeitsgruppen zu Schadstoffen/Bioziden, Sicherheit und Kulturgutschutz

Hans-Jürgen Voigt, Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig

Studium der Geschichtswissenschaften und der Archivwissenschaften an der Universität Leipzig; 1984–1987 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Waffenmuseum Suhl; seit 1987 Referent im Staatsarchiv Leipzig, Schwerpunkt sogenannte Querschnittsaufgaben wie Benutzer- und Magazinverwaltung, Bestandserhaltung, Dienstbibliothek und Sicherheit; seit 2015 Vorsitzender des Notfallverbunds Leipziger Archive und Bibliotheken

Dr. Danny Weber, Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften Studium der Geschichte, Historischen Hilfswissenschaft/Archivwissenschaft und Politikwissenschaften; Promotion mit einer Arbeit zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts; Archivreferendariat für den höheren Archivdienst beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen und der Archivschule Marburg; seit 2009 Leiter des Archivs der Leopoldina, seit 2017 der Abteilung Archiv und Bibliothek der Leopoldina; Gründungsmitglied des halleschen Notfallverbunds

Beteiligte Institutionen

Notfallverbund Leipziger Archive und Bibliotheken

2009–2012 Gründungsphase: Impulsschreiben an 60 Bibliotheken und Archive, Interessensbekundung zur Mitarbeit von 20 Einrichtungen, erste allgemeine Treffen, Fortbildung zur Notfallvorsorge, erster Kontakt zur Feuerwehr, Aufsetzen einer Notfallvereinbarung nach Magdeburger Vorbild, justiziarische Prüfung in den einzelnen Institutionen; Gründung des Leipziger Notfallverbunds am 21.5.2012 durch Unterzeichnung der Notfallvereinbarung durch Vertreterinnen und Vertreter von 20 Leipziger Archiven, Bibliotheken und Museen; 2013 Notfallübung im Staatsarchiv Leipzig; 2018 Notfallübung bei der Berufsfeuerwehr Leipzig. Zielsetzung: Bündelung personeller und sachlicher Ressourcen im Notfall mit dem Ziel, sich zum Schutz des Kulturguts gegenseitig zu unterstützen. Durch ein jährlich veranstaltetes Arbeitstreffen ist eine kontinuierliche Fortbildung der Mitglieder gewährleistet. Außerdem führt dieses Treffen die Mitglieder regelmäßig zusammen und hält den Kontakt lebendig, was für eine Notfallsituation von erheblicher Bedeutung ist. (Almuth Märker)

Kontakt: hans-juergen.voigt@sta.smi.sachsen.de

Notfallverbund Hallescher Kultureinrichtungen

Notfallvorsorge in Kultureinrichtungen hat in Halle Tradition und wurde bereits in den 1990er Jahren, allerdings noch ohne vertragliche Grundlage in Form eines Notfallverbunds, organisiert und gelebt. Der heutige Notfallverbund wurde im Jahr 2012 gegründet und ist ein gemischter Verbund aus Archiven, Bibliotheken und Museen unterschiedlicher Trägerschaft. Insgesamt sind 17 Einrichtungen Mitglied des Verbunds. Geleitet wird der Notfallverbund von einer ständigen Arbeitsgruppe, die aus drei Personen besteht (ein Vertreter je Sparte). (Danny Weber)

Kontakt: Christiane.Hoene@halle.de

Kulturrat Thüringen e.V.

Der Kulturrat Thüringen ist der Dachverband der kulturellen Spartenverbände Thüringens (www.kulturrat-thueringen.de). Er wurde im Februar 2011 gegründet und ist fester Ansprechpartner der Thüringer Landesregierung. Seine Initiativen sind vielfältig, u. a. in den Bereichen Kulturelle Bildung, Kulturentwicklungskonzepte sowie Dialog mit Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Seit 2017 gibt es mit dem Bereich Thüringer Notfallverbund Kulturgutschutz ein weiteres Betätigungsfeld, welches aktiv von der Landesregierung, dem Landkreistag und dem Gemeinde- und Städtebund unterstützt wird. (Ralf Seeber)

Kontakt: fachberater.notfallverbund@kulturrat-thueringen.de

SiLK – SicherheitsLeitfaden Kulturgut

Der SiLK – SicherheitsLeitfaden Kulturgut (http://www.konferenz-kultur.de/SLF/index1.php) ist ein interaktives Online-Tool zur Information und Evaluation zu allen sicherheitsrelevanten Fragen in Museen, Archiven und Bibliotheken. Er bietet zu jedem Thema eine Einführung, einen interaktiven Fragebogen mit Auswertung und Handlungsempfehlungen sowie weiterführende Informationen. Das SiLK-Projekt veranstaltet alle drei Jahre die internationale Fachtagung KULTUR!GUT!SCHÜTZEN! durchgeführt. Darüber hinaus gibt es Publikationen, Vorträge und Workshops; alle drei Monate erscheint ein Newsletter. 2020 hat das SiLK-Team die Koordination der Notfallverbünde in Deutschland und die Betreuung der Website http://notfallverbund.de/ übernommen. Von 2006 bis 2015 wurde das Projekt von der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien gefördert, seit 2016 vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. (Alke Dohrmann)

Kontakt: SiLK@konferenz-kultur.de, mail@notfallverbund.de

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