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Leidenserfahrung? Lösungserfahrung! - Dr. Anselm Hartinger im Gespräch
Nach mehrjähriger Sanierung hat das Museum im Haus zum Arabischen Coffe Baum in Leipzig wiedereröffnet. Wir sprachen mit Dr. Anselm Hartinger, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, über die Bedeutung dieses Ortes, die aktuellen Herausforderungen für Museen in Zeiten knapper Kassen und gesellschaftlicher Polarisierung – und darüber, welche Chancen neue Technologien eröffnen können.
Herr Hartinger, die Wiedereröffnung des „Coffe Baum“ ist vollzogen. Was bedeutet dieser Ort für Leipzig und für Sie persönlich?
Das Museum war mehrere Jahre wegen Bauarbeiten geschlossen, und die Nachfrage nach einer Wiedereröffnung war groß. Für uns ist es eine willkommene Erweiterung unseres Portfolios. Hier lässt sich Leipziger Lebensart und Kaffeehauskultur ebenso darstellen wie die Einordnung des Kaffeehandels in koloniale Strukturen – Themen, die eng mit der Stadtgeschichte und regionalen Mentalität verbunden sind. Außerdem ist das historische Gebäude selbst eine Sehenswürdigkeit, die wir in zwei Museumsetagen modern und liebevoll präsentieren.
War es selbstverständlich, dass das Museum Teil des Stadtgeschichtlichen Museums bleibt?
Ja, das wurde schon in den 1990er-Jahren entschieden. Wir sind schon die Berufenen, wenn es darum geht, historische Gebäude der Stadt wie das Alte Rathaus, die Alte Börse, das Schillerhaus oder das Völkerschlachtdenkmal museal aufzubereiten und konzeptionell in Schuss zu halten. Mit der Erfahrung unseres Teams und den Sammlungen sind wir dafür gut aufgestellt. Die Gastronomie im Arabischen Coffe Baum liegt in den Händen eines engagierten Pächters.
Welche größeren Projekte stehen nun nach Abschluss der Arbeiten um das Kaffeemuseum an?
Nach einem intensiven Bauzyklus sind wir froh, dass wir uns wieder stärker auf Ausstellungen und Sammlungserschliessung konzentrieren können. Aktuell läuft eine Sandmann-Ausstellung für Kinder und Familien. Im nächsten Jahr widmen wir uns dem Thema „Sommer in der Stadt“ – von Bädern bis hin zum Umgang mit Hitze und Klimawandel. Am Völkerschlachtdenkmal planen wir größere Bauarbeiten und eine Stärkung des musealen Angebots. Gleichzeitig müssen wir in Zeiten knapper Kassen unsere Relevanz behaupten und kreative Lösungen finden.
Da sind wir schon bei der allgemeinen Großwetterlage – welche Herausforderungen sehen Sie denn für die Museenlandschaft allgemein?
Die angespannte Lage der öffentlichen Haushalte betrifft uns alle. Wir müssen kostengünstige Lösungen entwickeln, Synergien nutzen und vieles selbst umsetzen. Und wir müssen gesellschaftliche Polarisierungen aufnehmen – Museen wollen ein verbindender Ort sein und bleiben. Gleichzeitig scheuen wir uns nicht, Themen zu verhandeln, die alle angehen und wo es hochgradig unterschiedliche Meinungen in der Gesellschaft gibt. Das können Fragen wie die der Wohnungsnot, der Mobilität oder der Bildung sein. Da wird es in den nächsten Jahren heftige Diskussionen – auch Verteilungskämpfe - geben und wir als Museen werden da unseren Platz behaupten. Denn die Frage zu beantworten, woher Brüche in der Gesellschaft kommen und welche Lösungen es braucht, um sie zu überwinden, ist eine Kompetenz gerade von uns als Geschichts-Museen.
Sie ließen es schon anklingen - Welche Rolle spielen denn Kooperationen mit anderen Häusern, etwa im Arbeitskreis Leipziger Museen?
Kooperationen sind wichtiger denn je. Oft entstehen gemeinsame Projekte, bei denen man Ressourcen bündelt und ich merke, dass ich inzwischen häufiger innerhalb der Museumsszene angesprochen werde mit der Frage: „Mensch, wollen wir da nicht was zusammen machen?“
Darüber hinaus verlängern sich mit Blick auf die nötige Ressourceneffizienz die Laufzeiten. Wir bieten nicht mehr bis zu drei großen Themen pro Jahr an, wie das vielleicht vor 10, 15 Jahren der Fall war. Heute überlegen wir, welchen einen Aufschlag haben wir, der dann umso besser sitzen muss. Zudem setzen wir verstärkt auf Outreach: Museen müssen nicht nur im eigenen Haus stattfinden, sondern können auch im Stadtraum präsent sein, dort, wo die Menschen sind.
Welche technologischen Entwicklungen erachten Sie in der Museumswelt als besonders zukunftsweisend?
Besucher erwarten mehr als Objekte und Texttafeln – sie wollen Filme, Audiostationen oder Apps. Dabei geht es nicht nur ums Informieren, sondern auch um Dialog. Digitale Lösungen können Interaktion ermöglichen, etwa durch Augmented Reality oder KI. Worauf wir verstärkt achten müssen – Stichwort knappe Haushalte – ist die Bezahlbarkeit der Technologien und ihre Robustheit und Nachhaltigkeit. Wenn ich einmal in ein Produkt investiere, muss es auch in fünf Jahren noch funktionieren und nachgefragt sein. Die Künstliche Intelligenz wiederum ist eine massive Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Ich möchte schon, dass bei uns die Texte, die irgendwo kursieren, am Ende doch von Menschen geschrieben werden, auch wenn sich sicherlich die Recherchemöglichkeiten durch digitale Lösungen sehr gut potenzieren lassen.
Entscheidend bleibt für mich: Museen sind Orte von Menschen für Menschen, mit authentischen Objekten und wissenschaftlicher Expertise und da kommt uns in einer Zeit von Falschmeldungen und selbstproduzierten Nachrichten eine ganz wichtige Aufgabe zu. Denn die Frage ist, wem kann man noch vertrauen, wem kann man glauben? Wie erzeuge ich eigentlich einen wahrheitsgemäßen Dialog? Der kann zwar aufregend sein, aber muss ja trotzdem irgendwie evidenzbasiert sein. Museen genießen eine hohe Glaubwürdigkeit. Die sollten wir in Zeiten der digitalen Kommunikationsmittel nicht einbüßen.
Jetzt müssen Sie diesen technologischen Fortschritt auffangen und da investieren – gleichzeitig haben wir eben über schwindende Mittel gesprochen. Wie wollen Sie das denn schaffen?
Die wichtigste Ressource, um die es immer gehen muss, ist natürlich, dass wir gutes Personal haben. Daher sind Stellenwiederbesetzungen auch enorm wichtig, da wir nur mit guten Leuten, auch mit jüngeren Leuten, die die Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten jüngerer Generationen teilen, Lösungen finden, die passen. Natürlich ist völlig klar, dass wir uns mehr um Fördermittel, mehr um Fundraising und bürgerschaftliches Engagement bemühen müssen. Dafür sollten sich auch die öffentlichen Verwaltungen stärker öffnen und anders aufstellen.
Und ansonsten werden wir weiter das praktizieren, was Museumsleute seit jeher tun: Improvisieren. Einfach Dinge auch mal selber bauen; Pfiffigkeit schlägt Perfektion. Insofern werden wir weiter daran arbeiten müssen, so gut zu werden, wie wir vielleicht nie werden können, aber flexibler und zeitgemäßer zu sein, als mancher uns zutraut.
Da spricht jetzt eine gewisse Leidenserfahrung aus Ihnen?
Auch eine Leidenserfahrung, aber eben auch eine Lösungserfahrung.
Was wünschen Sie sich von der Plattform wie der MUTEC, auch hinsichtlich der Unterstützung durch eine solche Messe in diesen Zeiten?
Die MUTEC ist für uns ein Glücksfall: ein gut besuchtes Branchentreffen, bei dem man Trends und Lösungen direkt vor Ort sieht und im persönlichen Austausch Ideen entwickelt. Besonders die Kombination mit dem Denkmalschutz passt für uns, da wir viele historische Gebäude betreuen. MUTEC liefert uns Inspirationen und Umsetzungswege – manchmal nehmen wir die kleine Lösung mit und manchmal auch die ganz großen Visionen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft von MUTEC?
Wichtig bleibt die Verbindung von digitalem und analogem Arbeiten. Viele Museen ringen damit, wie sie aus Datenbanken attraktive Oberflächen machen können. Wie kann man zudem auf Begegnung setzende Vermittlungsangebote digital unterstützen? Auch nachhaltige Lösungen für Beleuchtung, Kühlung und Klimatechnik bleiben zentrale Themen. MUTEC sollte weiterhin genau solche praktischen wie zukunftsweisenden Fragen aufgreifen.